Gedanken über Fotografie ganz allgemein

Von Peter Pischler

Vor etlichen Jahren - vermutlich in den späten 70er Jahren des letzten Jahrhunderts desvorigen Jahrtausends - hat Kodak - über deren unzählige Fotolabors - erhoben, was das meist fotografierte Motiv auf dem Amateurfotosektor ist.

Gewonnen hat "Menschen beim Essen und Trinken". Das hat mir damals schon sehr zu denken gegeben. Heute ist - wegen der Explosion der Quantität der Aufnahmen, bedingt durch die Tatsache, dass digitales Fotografieren (fast) nichts kostet (von der Anschaffung eines Gerätes einmal abgesehen, aber diese Ausgabe hatte man ja früher auch schon) - die Situation sicher nicht besser geworden.

Wahrscheinlich hat das Foto eines seine Suppe schlürfenden (eventuell auch mehrerer Schnitzelesser oder Gläser-hochhaltender und "Prost"-schreiender) Menschen seine Berechtigung, auch wenn mir diese bis heute verborgen blieb. Aber immerhin hat es mich veranlasst, mir Gedanken über Fotografie und fotografische Motive zu machen.

Anmerkung des Verfassers: Mir ist schon klar, dass sich "Essen und Trinken" als hervorragende Gelegenheit zum "ein Foto machen" anbietet. Wird es doch meist ein spezieller Anlass sein, bei dem fotografiert wird, eine Feier, bei der Familienmitglieder und / oder Freunde zusammenkommen. Diese hat man bei kaum einer anderen

Gelegenheit so schön vereint. Das verstehe ich schon. Nur, ob sich essende Menschen, mit Löffel oder Messer und Gabel in der Hand vor halbvollen Tellern und Gläsern sitzend, kauend das Gesicht zu einer seltsamen Grimasse verziehend, wirklich als ideale Fotomotive eignen…, ich weiß nicht so recht.

Um diesem Thema halbwegs gerecht zu werden, muss ich - glaube ich - ziemlich weit ausholen. Quasi "warum fotografieren Leute", "warum fotografieren Leute was sie fotografieren", "was machen diese Leute anschließend mit den "Fotos", etc. etc.

Ich gehe davon aus, dass dem Leser bewusst ist, dass ich wohl weiß, dass es sehr viele verschiedene Beweggründe gibt, warum ein Mensch seine Kamera, bzw. heutzutage immer mehr sein Handy, bemüht. Genau wie es sehr viele verschiedene Arten der Aufbewahrung und / oder Nutzung dieser Bilder gibt.

Wenn wir den leider immer geringer werdenden Prozentsatz an ernstlichen Amateur- Fotografen (professionelle Fotografen sind nicht Teil meiner hier angestellten Gedanken!) ignorieren, dann bleiben uns immerhin ein paar Milliarden digitaler "Knipser".

Warum knipsen die - und was machen sie mit dem Geknipsten? Ich habe mir von einem langjährig Angestellten einer großen Fotokette sagen lassen, dass viele seiner Kunden knipsen bis die Speicherkarte voll ist, und dann einen von drei Wegen wählen:

1. Sie formatieren die Speicherkarte und fangen von vorne an. Die Fotos welche auf der Speicherkarte waren, sind dann zwar weg, aber man hatte diese ohnehin für viele Monate - wenn nicht Jahre - am Handy oder Kameramonitor angesehen und / oder seine Freunde und Bekannten damit gelangweilt, sie werden nicht mehr gebraucht, etwas Aktuelles muss her.

2. Sie überspielen - oder lassen überspielen - die volle Speicherkarte auf einen Computer (CD), wo die Bilder alsbald oder früher in Vergessenheit geraten.

3. Sie legen die nun volle Speicherkarte in eine Schublade, kaufen sich eine neue und fangen wieder von vorne an. Wenn Sie mich jetzt fragen, wieso diese Leute die volle Speicherkarte aufheben - die sie allerhöchstwahrscheinlich doch nie wieder verwenden bzw. sich die darauf befindlichen Bilder ansehen – ich weiß es wirklich nicht!

Zugegeben, ich vereinfache, das tut mir (fast) leid. Wahrscheinlich gibt es doch einige Wenige, denen manche der ziemlich wahl- und gedankenlos in großer (viel zu großer) Zahl geschossenen Fotos etwas bedeutet. Der 90. Geburtstag der Urli (beim Essen), die Kinder am Spielplatz (beim Spielen, etwas verwackelt, aber doch sooo lieb!), die Kegelbrüder beim Saufen (sorry, beim Kegeln, meine ich), die neue Freundin in einer Bar oder Disco (beim Trinken) und anschließend - so hoffen wir wenigstens für den hypothetischen Hobbyfotografen - am nächsten Morgen im Bett sitzend, sich schüchtern tuend die Decke vor die Brust haltend und dabei doch lasziv grinsend, etc. etc. Diese Leute lassen sich vielleicht sogar einige der Hunderte sich auf der Speicherkarte befindlichen Bilder beim Fotohändler, in der Drogerie oder einem Supermarkt, ausdrucken. Was mit diesen Papierbildern anschließend geschieht entzieht sich meiner Kenntnis, ich tippe auf 2 bis 3 Jahre Schuhschachtel oder Schublade, dann adieu…

Aber ich komme dem "Warum fotografieren" eigentlich nicht näher. Meiner selbst erarbeiteten Theorie nach gibt es zwei Kategorien von Knipsern:

1. Die "Anlassknipser", wobei - laut der o.g. Kodak-Umfrage - der Anlass wahrscheinlich ein Familienfest, ein Ausflug, eine Reise, oder Ähnliches ist, solange halt gegessen und getrunken wird…, nein, ich bin nur etwas zynisch, sorry! Dieser Typ verwendet oft eine Kamera, aber heutzutage auch mehr und mehr das Handy.

2. Der "Ohne bestimmten Anlass Knipser". Ich weiß, das ist natürlich etwas übertrieben, vielleicht sogar wiederum etwas zynisch - obwohl ich, laut Aussage meiner Kindergartentante, so gar nicht zu Zynismus neige - ausgedrückt. Natürlich hat der Ohne-bestimmten-Anlass-Knipser auch einen Anlass, wenn dieser auch nicht klar definiert ist. Dieser Typ verwendet heutzutage mehrheitlich sein Handy, da er ja - mangels erkennbarem oder geplanten Anlass - keine Kamera "Handy" (also "zur Hand") hat.

Erster Typ ist uns bekannt, ihn habe ich weiter oben bereits erwähnt und ein wenig beschrieben.

Der zweite Typ ist schwieriger "zu fassen", es gibt ihn auch noch nicht so lange. Dieser Typ von Knipser (ich vermeide den Ausdruck Fotograf mit Absicht, um etwaige Fotografen, sollten diese versehentlich diesen Aufsatz lesen, nicht vor den Kopf zu stoßen) knipst halt drauf los, wo und wann immer sich etwas Knipsenswertes (seiner / ihrer Meinung nach!) zeigt. Dieser Typ bleibt manchmal nicht einmal mehr stehen, er fotografiert - mit lässig ausgestrecktem Arm sein Samsung Ei-Fohn in einer Hand haltend - "en passant", wie wir Lateiner (ok, Franzosen, auch gut) sagen, "im Vorbeigehen". Auf dem kleinen Handymonitor sehen diese Bilder gar nicht einmal schlecht aus, man sieht, dass "etwas drauf" ist, wenn man auch meist nicht genau erkennen kann, was es ist. Bezüglich Aufbewahrung und / oder Verwertung dieser Fotos verfährt dieser Typ genau wie oben beschrieben, er neigt allerdings zu der ersten von mir beschriebenen Variante, Karte formatieren - endlich sind diese alten Bilder weg - und es kann von Neuem losgehen. Aufhebenswert waren diese Aufnahmen ja (meist) ohnehin nicht…, zynisch, ich weiß, sorry!

Wenn man bedenkt, dass ich mit dem oben gesagten, also mit diesen beiden Knips- Typen, zirka 99,5 Prozent der "sich mehr oder weniger häufig eines fotografischen Gerätes bedienenden" Bevölkerung abdecke, so fragt man sich, ob es sich überhaupt lohnt, über die winzige 0,5 Prozent Minderheit zu sprechen? Zu schreiben, meinte ich.

Es lohnt sich. Denn diese Minderheit knipst nicht, sie befasst sich mit der Materie, sie fotografiert, zeichnet mit Licht, macht oft wirklich sehenswerte Fotos, archiviert diese auf einem Computer, bearbeitet ("entwickelt") sie vielleicht sogar, erstellt Fotobücher, druckt - oder lässt drucken - Papierbilder, ist eventuell Mitglied eines Fotoklubs, nimmt vielleicht sogar an Ausstellungen teil, usw.

Allerdings ist auch diese winzige Gruppe ernsthafter Fotografierer nicht gefeit gegen die Tücken und Fallstricke der digitalen Gratis-Fotografie. Denn das "Gratis" ist eigentlich - so sehr ich es auch schätze und für mich zu nutzen weiß - sehr oft ein Problem, ein Hinderungsgrund, um wirklich gute Bilder zu machen. Ich werde dies gleich erklären, etwas Geduld, bitte.

In analogen Zeiten (also vor unvorstellbaren 10 bis 15 Jahren) war fotografieren relativ teuer. Nicht nur hardware- (Kamera, Stativ, Objektive, Blitzgerät etc.) sondern auch softwaremäßig. Filme kaufen, Filme entwickeln, Fotos ausarbeiten lassen, oder Dias einrahmen, alles kostete gutes Geld. Im Urlaub 30 Farbfilme zu verschießen und hinterher die im Fotogeschäft oder Drogeriemarkt ausgearbeiteten Fotos in ein schönes Album einkleben, konnte das Urlaubsbudget gut und gerne mit 10.000,- bis 13.000,- Schilling (fast Euro 1.000,-!) belasten. Da hat man sich doch ganz automatisch Gedanken gemacht, bevor man abdrückte. Man hat dem aufzunehmenden Foto bereits vorher, also vor dem Abdrücken, Aufmerksamkeit und Konzentration gewidmet, hat vielleicht sogar überlegt ob man das angepeilte Motiv überhaupt ablichten sollte und wenn ja, wie denn am besten, von wo, bei welchem Licht, etc. etc.

Das ist jetzt - leider / meist - nicht mehr so. Da ein Foto quasi nichts mehr kostet, wird halt einfach drauf los geschossen, man kann es (sie) ja nachher wieder löschen, oder? Hat man früher in einem 3-wöchigen Urlaub maximal 1.000 Fotos (gedankenvoll) aufgenommen, sind es heute 3.000 oder gar 5.000 - meist wesentlich gedankenlosere - Fotos. Quantität statt Qualität. Nicht alle machen es so, ich weiß, aber doch eine erhebliche Anzahl. Die drastisch gestiegene Quantität an Aufnahmen hat leider die Qualität nicht mit ansteigen lassen. Sehr oft ist sogar das Gegenteil der Fall. Ein Beispiel: Ein Fotograf, der früher einmal seine schwere Ausrüstung den Berg hinauf schleppte, den besten Standpunkt für seine geplante Aufnahme suchte, dort seine Kamera auf dem mitgebrachten Stativ befestigte und nun geduldig auf den günstigsten Zeitpunkt in Bezug auf das Licht wartete, der investierte eine Menge Zeit und Gedanken um zu einem ansprechenden Resultat zu kommen.

Heute ist die kleine, leichte Alleskönner-Automatikkamera stets griffbereit zur Hand, es wird wahrscheinlich schon unterwegs viele Male abgedrückt, eine Ziege hier, ein Blümchen da, eine Kuh dort. Oben angekommen wird dann eine große Reihe an Aufnahmen geschossen, alles was es halt rundum so zu sehen gibt - die Kellnerin im großzügig ausgeschnittenen Dirndl auf der unvermeidlichen Hütte, mit der Knödelsuppe und den Bierflaschen auf dem vollen Tablett, mit eingeschlossen – es kostet ja nichts und ein paar brauchbare werden schon dabei sein…

Das ist - wenigstens in meinen vielleicht etwas überkritischen Augen – eigentlich schade. Sich vor dem Abdrücken Gedanken über das zu erwartende Ergebnis machen, ist auch in diesen digitalen Zeiten eine gute, ja sogar eine sehr gute Idee. Nicht der Zufall soll über die Ergebnisse entscheiden, sondern die eigene Planung und Ausführung. Wenn ich meinen diversen Hobby-KollegInnen manchmal beim Fotografieren zusehe, dann frage ich mich oft, warum macht er oder sie dieses oder jenes Foto überhaupt? Fragt er oder sie sich das auch? Das wäre doch wirklich wichtig! Wenn ich durch die Kamera schaue, dann sehe ich im Sucher ein Bild. Sollte ich mich jetzt nicht fragen, ob ich dieses Bild überhaupt möchte, brauche? Würde ich mir das Bild, so wie ich es jetzt gerade im Sucher sehe, vergrößert und eingerahmt – in diesem angenommenen Fall also mit Kosten verbunden - an die Wand hängen? Würde mir das Bild - so wie ich es gerade sehe - jemand abkaufen wollen? (und sag' mir jetzt bitte keiner, das hängt vom Dekolleté der imaginären Kellnerin auf der gedachten Hütte ab, ich meine es nämlich ernst!) Das sind äußerst wichtige Fragen, glaubt mir. Denn wenn ich bei einer dieser Fragen auch nur den geringsten Zweifel verspüre, dann sollte ich mir überlegen, ob ich das Bild überhaupt machen soll. Oder was ich daran ändern könnte, um diese Fragen mit Ja zu beantworten. Vielleicht den Standpunkt? Der erste (meist zufällig gewählte) Standpunkt ist fast niemals der beste, das wäre doch ein zu großer Zufall, oder? Würde eine andere Brennweite das Motiv positiv verändern? Wie soll ich die Belichtung gestalten, damit das Ergebnis so wird, wie ich es gerne hätte?

Ich wage zu behaupten, dass die erste Frage, "Würde ich mir dieses Bild an die Wand hängen?", die allerwichtigste ist. Denn wenn ich davon überzeugt bin, dann habe ich bereits halb gewonnen. Jetzt gilt es nur mehr, die Technik in den Griff zu bekommen und schon habe ich ein - wenigstens für meinen Geschmack - gutes Foto. Natürlich sind Geschmäcker verschieden und natürlich macht man manchmal ein Bild, das man sich nie an die Wand hängen würde, eben "nur der Erinnerung wegen", das ist absolut legitim. Schließlich will ich mir von Urlis 90. Geburtstag nicht alle 200 geschossenen Aufnahmen an die Wand hängen. Aber ich werde sie, wenn ich mit den Ergebnissen zufrieden bin (und ob dies so ist, sollte ich eigentlich bereits beim Blick durch den Sucher entschieden und gewusst haben), an diverse Verwandte verteilen, vielleicht ein Fotobuch gestalten und dieses gegen einen Unkostenbeitrag "verschenken", usw.

Nicht alle Fotos enden an einer Wand, das meinte ich auch nicht. Was ich meinte, ist, ich sollte mir beim Blick durch den Sucher Gedanken machen, ob ich dieses Foto wirklich will, ob es mir gefällt, eben ob ich es mir an die Wand hängen (herschenken, oder verkaufen) würde. Wenn nein, dann halt nicht abdrücken, ein neues, besseres Motiv, einen neuen, besseren Standpunkt suchen, eventuell das Objektiv wechseln, das Motiv bewusst betrachten und sich über den besten Weg, dieses Motiv festzuhalten, Gedanken machen.

Ihr werdet euch wahrscheinlich fragen, was will er denn? Was hat er denn? Das machen wir doch alles. Na, dann ist's ja gut. Dann sind eure Fotos ja ohnehin sehens-, herzeigens- und aufhängenswert. Oder?

Alle? Viele? Wenige? Nein?

Dann eben nächstes Mal mehr Gedanken machen. Bewusster fotografieren. Sich mehr über das angestrebte Ergebnis als um die Kamera und Technik kümmern. Ein guter Fotograf wird auch mit einer einfachen (das klingt besser als "schlechten") Kamera ein gutes Bild entstehen lassen können. Aber ein "nicht so guter" (das klingt besser als "schlechter") Fotograf wird auch mit der modernsten, besten, teuersten Kamera nur durchschnittliche Ergebnisse produzieren. Warum? Weil er wahrscheinlich zu sehr "ausrüstungsgläubig" ist, weil er glaubt, dass die gute, sehr teure Ausrüstung quasi automatisch gute Resultate produziert, ja, produzieren muss. Schon der Kosten wegen. Dem ist aber durchaus nicht so. Eine Kamera kann nämlich nur das aufnehmen, was ihr der Fotograf vorsetzt.

Bitte den letzten Satz noch einmal lesen, danke.

Von selbst tut / kann eine Kamera überhaupt absolut gar nichts, sie kann nicht einmal sehen. Dabei ist doch das "Sehen" das Wichtigste an der Sache überhaupt. Millionen mal wichtiger als die Kamera selbst. Ich kann nämlich nichts fotografieren, das ich nicht zuvor sehe. Und selbst wenn ich es (das / ein Motiv) momentan erst nur mit / vor meinem inneren Auge sehe, so kann ich es anschließend doch kreieren, nach meinen Wünschen und Vorstellungen formen und gestalten und dann - erst dann, wenn ich mit dem Gesehenen zufrieden bin - mit der Kamera aufnehmen.

Bedingt durch die Einfachheit der Bedienung, welche uns die moderne Elektronik heute bietet, ist man verleitet zu glauben, dass alleine durch das Auslösen ein Foto entsteht. Ja, das tut es auch, ich weiß wohl, aber es entsteht eben nur das, was ich vorbereitet, was ich zuvor im Sucher gesehen, eingestellt und für gut befunden habe. Dem sollte man (mehr) Aufmerksamkeit und Gedanken widmen.

Manch einer wird jetzt dagegenhalten, dass man heutzutage sehr viel am Computer - mit der geeigneten Software - reparieren, ja sogar "herrichten" (gestalten, kreieren) kann. Das mag wohl stimmen, hat aber mit meinen Gedanken, die sich mit Fotografie ganz allgemein und prinzipiell befassen, nichts zu tun.

Peter Pischler

PS.: "Urli" ist Urgroßmutter…